Hamburger MoPo: Todessekte

Hamburger Morgenpost, Dienstag, 7. Februar 2006

Michaela J. litt Höllenqualen

In den Fängen der Todessekte

Sie hatte Brustkrebs. Sie litt Höhlenqualen. Aber zum Arzt ging sie nicht, denn das hatte Ryke Geerd Hamer ihr verboten. Michaela Jakubczyk – eins von etwa 50 Opfern des „Wunderheilers“. Dessen Todessekte ist auch in Hamburg aktiv.

Zu Besuch bei der Todessekte

  • Die gefährlichen Ansichten von Ryke Geerd Hamer
  • Krebskranke sterben, weil sie nicht zum Arzt gehen
  • Die MOPO nimmt an Geheimtreffen in St. Georg teil

Michaela Jakubczyk litt Höllenqualen. Sie schrie Tag und Nacht. Am 12. November, zwei Tage vor ihrem 41. Geburtstag, erlöste der Tod sie von ihren Schmerzen. Sie hatte sich bis zuletzt geweigert, ihren Brustkrebs von einem Schulmediziner behandeln zu lassen. Sie müsse nur ihre psychischen Konflikte lösen, dann werde sie von selbst gesund – das hatte Ryke Geerd Hamer ihr eingeredet. Sie glaubte daran – und verfaulte bei lebendigem Leib. 

Hamer (70), der wie er selbst meint, „berühmteste Entdecker der Weltgeschichte“, sitzt seit 2004 in Frankreich wegen Kurpfuscherei in Haft.  Für seine Anhänger ist er seit dem ein Märtyrer. Die „jüdische Schulmedizin“ und die „Pharma-Mafia“ hätten ihn aus dem Verkehr ziehen lassen. Daran glauben sie fest. Und weil Verschwörungstheorien stets große Faszination ausüben, hat auch die Hamburger Zelle der „Germanischen Neuen Medizin“ starken Zulauf.

Jeden ersten Sonnabend und jeden dritten Mittwoch im Monat treffen sich die Gläubigen in Hamburg zu ihrem Stammtisch – das geht aus einem Kalender im Internet hervor. Wo – das wird streng geheim gehalten. Mister X ist es dennoch gelungen, dazuzustoßen. Unter falschem Namen schrieb er in einer E-Mail, dass er die „Germanische Neue Medizin“ für die letzte Chance seiner kranken Mutter halte – und das überzeugte. Wenige Stunden vor dem Treffen erhielt er einen anonymen Anruf: „Finden Sie sich am Sonnabend um 9.45 Uhr vor dem ‚Block House‘-Restaurant am Hauptbahnhof ein. Pünktlich!“

Es ist Christos T., ein Mittvierziger, der Mister X dort abholt und um die Ecke zu einem Haus am Steindamm bringt – in den Versammlungssaal des „Vereins zur Aktivierung der Lebensenergie“. In den nächsten dreieinhalb Stunden verblüfft „Stammtischleiterin“ Marianne K.  die Zuhörer mit der Erkenntnis, dass es gar keine Krankheiten gibt. Sogar Aids sei eine Lüge der Schulmedizin. Das, was die „Unwissenden“ Krebs nennen, sei eine durch und durch positive Reaktion des Körpers auf psychische Schocks.

Für jedes Leiden weiß Marianne K., eine pensionierte kaufmännische Angestellte, den genauen Auslöser. Brustkrebs rechts: Der Mann ist weggelaufen. Brustkrebs links: ein Konflikt mit den Kindern. Einer Erkrankung an Hodenkrebs geht immer ein „Verlustkonflikt“ voraus – der Verlust des Sohnes, des Arbeitsplatzes oder was auch immer. Ach ja, und wer beispielsweise geschockt ist, dass er eine Katze überfahren hat, bekommt natürlich eine Katzenhaarallergie.

30 Frauen und vier Männer sind im Saal versammelt. Vier Euro Eintritt hat jeder gezahlt. Viele kaufen in der Pause die teuren Bücher Hamers. Mehrere Personen, die schon länger der Sekte angehören, erzählen davon, dass sie selbst Krebs haben – und dass sie früher doch tatsächlich so verrückt gewesen seien, sich von einem Schulmediziner behandeln zu lassen. Andere berichten, dass Hamers „Germanische Neue Medizin“ sie geheilt habe: Alles komme darauf an, die seelischen Konflikte zu lösen. Kurz: Ist der Schmerz über die Trennung vom Mann erst überwunden, heilt auch der Brustkrebs.

Zum Schein gibt sich Mister X interessiert. An wenn sich denn seine krebskranke Mutter wenden könne, will er wissen. Marianne K. nennt bereitwillig einen Namen: Andreas K. Heilpraktiker aus Darmstadt.

Mindestens 20 Menschen sollen Hamers Ideologie bisher mit dem Leben bezahlt haben, so Kritiker. Sie starben offenbar, weil sie den Krebs durch Nichtstun bekämpften. 

Michaela Jakubczyk wird wohl nicht die Letzte gewesen sein. Die meisten Zuhörer vom Sonnabend haben sich schon angemeldet zum ganztägigen „Grundlagenseminar“. Da werden sie dann zum Preis von 65 Euro vollends auf Hamer-Kurs gebracht.

Olaf Wunder

„Hamer hat sie auf dem Gewissen“

Ehemann klagt Guru an – seine Frau (40) starb an Brustkrebs

Michaela Jakubczyk war Kunstmalerin. Eine hochintelligente Frau, eine, von der niemand erwartet hätte, dass sie Scharlatanen auf den Leim gehen würde. 2001 erkrankte sie an Brustkrebs, begab sich in Chemotherapie, und ein Jahr später sah alles so aus, als hätte sie das Gröbste überstanden. „Dann hörte sie von diesem Hamer und kaufte für viele Hundert Euro Bücher von ihm“, erzählt Gilbert (53), ihr Mann. „Eines Tages bat sie mich, mit ihr nach Spanien zu reisen, wo der damals praktizierte. Weil ich mich weigerte, flog sie allein. Ich konnte sie nicht davon abbringen.“

Als sie nach drei Tagen aus Spanien zurückkehrte, war  Michaela Jakubczyk wie verwandelt: „Ich werde die schulmedizinische Behandlung sofort beenden. Ich muss den Partnerschaftskonflikt, der Ursache meiner Erkrankung ist, überwinden“, verkündet sie. Sie verließ ihren Mann, zog zur Mutter und wurde fortan von Hamer-“Therapeuten“ rund um die Uhr beaufsichtigt. Schon bald begann der Krebs erneut zu wuchern. Ein Arzt wurde gerufen. Am 12. November starb sie mit 40. Daran sei nicht Hamers Medizin schuld, ließen ihre „Therapeuten“ wissen. Michaela habe am Ende Schmerzmittel bekommen. Dieser Verstoß gegen die Regeln der „Germanischen Neuen Medizin“ habe sie das Leben gekostet. 

Für Gilbert Jakubczyk steht fest: „Hamer hat meine Frau auf dem Gewissen.“ Jetzt kämpft er gegen die irren Lehren des Quacksalbers. Eine seiner Verbündeten ist Christa Wechselbaum aus Berlin, deren Sohn ebenfalls ein Anhänger Hamers war. Er war an Hodenkrebs erkrankt – doch Hamer behauptete, es handele sich lediglich um eine „Schwellung“ als Folge eines „Trennungskonflikts“. Sören Wechselbaum starb im Alter von nur 25. Dabei wäre seine Überlebenschance bei fachärztlicher Behandlung sehr groß gewesen.

Lebenslauf eines Irrläufers

Ryke Geerd Hamer stammt aus Mettmann (bei Düsseldorf), studierte Medizin und Theologie. Als er 1978 kurz nach dem Tod seines Sohnes Dirk an Hodenkrebs erkrankte, glaubt Hamer, der Verlust des Jungen sei die Ursache dafür. Das ist die Geburtsstunde der „Germanischen Neuen Medizin“, die darauf basiert, dass alle Erkrankungen durch Schockerlebnisse, das so genannte „Dirk-Hamer-Syndrom“ (DHS), ausgelöst werden. 1986 verliert er die ärztliche Zulassung. 

1995 macht der „Fall Olivia“ Schlagzeilen. Die Eltern des damals sechsjährigen krebskranken Mädchens weigern sich, ihr Kind von Krebsspezialisten behandeln zu lassen – und entführen es nach Spanien zu Hamer. Mit Polizeigewalt wird das Kind zurück nach Österreich gebracht und dort behandelt. Es überlebt.

Seit Hamer 2004 in Frankreich im Gefängnis sitzt, ist Olivias Vater, Helmut Pilhar (41) der mächtigste Mann in der Sekte. Er zieht die Strippen, ist ständig auf Vortragsreise durch ganz Europa. Krebsspezialisten wie etwa Professor Günter Henze von der Berliner Charité warnen vor Hamers Lehre. Krebskranke vom Arzt fernzuhalten, bedeute, ihnen die Chance auf Heilung zu nehmen. Und das sei kriminell.

ARCHIV - 2006
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